Dr. Silke Schmitt Oggier - Med. Leiterin von sante24
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5 Fragen an Dr. Silke Schmitt Oggier - Wann braucht es bei Kindern Antibiotika?


Ich bin sofort mit ihr zu ihrem Kinderarzt, damit er ihr in die Ohren schaut und ein Antibiotikum verschreibt. Er wollte mir aber keines geben, nur Schmerzmittel und eine Kontrolle in zwei Tagen. Früher bei meinen Kindern habe ich immer sofort ein Antibiotikum bekommen. Soll ich noch zu einem anderen Kinderarzt gehen?» beendet die besorgte Grossmutter ihre Frage an die Gesundheitsberaterin. Diese beruhigt Rita Keller, indem sie ihr erklärt, dass man seit einigen Jahren bei Mittelohrenentzündungen immer erst einen zweitägigen Versuch mit Schmerz- und Entzündungs-blockern macht und damit in den meisten Fällen eine Antibiotikatherapie vermeiden kann. Antibiotika sollen sehr sparsam und zielgerichtet eingesetzt werden, um ihre Wirksamkeit nicht durch Resistenzen herabzusetzen.


Gegen welche Krankheitserreger wirken Antibiotika (und gegen welche nicht)?

Antibiotika helfen nur gegen Bakterien, nicht aber gegen Viren. Gegen Viren gibt es fast keine gezielten Medikamente, was ja auch eine der Schwierigkeiten bei Covid war. Ausserhalb vom Spital werden die meisten ansteckenden Erkrankungen im Bereich der oberen Luftwege im Kindesalter von Viren ausgelöst. Dauern die Erkrankung und die Symptome jedoch länger, kann eine sekundäre Infektion mit einem Bakterium dazukommen. Bakterien sind im Prinzip überall vorhanden und lieben feuchte, warme Stellen im Körper, wie z.B. durch eine virale Erkältung verschleimte Nasenhöhlen oder Bronchien, um sich zu vermehren.


Bei welchen Erkrankungen sind früher Antibiotika bei Kindern zum Einsatz kommen und bei welchen heute?

Bei Infektionen der Bindehaut des Auges, der oberen und unteren Luftwege wie Mittelohren- oder Gehörgangsentzündungen, Nasennebenhöhlenentzündung, Mandelentzündung und Bronchitis sind früher häufig Antibiotika zum Einsatz gekommen. Heute hat man jedoch die Erfahrung, dass es diese bei den genannten Erkrankungen mit konsequenter Symptombekämpfung oder -linderung nur noch selten braucht. Anders sieht es bei einer Lungenentzündung, einer Blasen- oder Nierenbeckenentzündung und bei der Hirnhautentzündung/Meningitis aus. Infektionen der ableitenden Harnwege und des Gehirns werden in der Regel durch Bakterien verursacht und brauchen deshalb zur Heilung Antibiotika. Mittlerweile kann man unter gewissen Umständen auch schon bei Blinddarmentzündungen einen Antibiotika-Behandlungsversuch starten und so manche Operation vermeiden.  


Welche Symptome zeigen an, dass man Antibiotika braucht?

Bakterielle Entzündungen, die den Einsatz eines Antibiotikums benötigen, sind meist hoch fieberhaft und mit schlechtem Allgemeinzustand verbunden, der trotz symptomatischer Therapie eher immer schlechter wird. Ein typisches Zeichen ist auch eine sogenannte «Zweitverschlechterung» im Verlauf, z.B. eines Erkältungshustens oder einer Mittelohrenentzündung, der nach anfänglicher Besserung plötzlich wieder schlechter wird. Ein weiteres Anzeichen, dass es sich um eine schwere bakterielle Erkrankung handeln könnte ist, dass Fieber- und Schmerzmedikamente in der adäquaten Dosierung fast keinen Effekt mehr zeigen. Im Blut kann man bestimmte Entzündungsmarker bestimmen, die bei der Diagnosesicherung helfen.


Kann man das Antibiotikum gleich wieder absetzen, wenn es dem Kind besser geht?

Nein, Antibiotika sollen unbedingt so lange eingenommen werden wie sie verordnet worden sind, auch wenn schon vorher eine Besserung oder sogar Heilung der Symptome eintritt. Grund ist, dass es in jeder Bakterienpopulation einzelne Bakterien gibt, die schlechter auf das Antibiotikum ansprechen und deshalb länger behandelt werden müssen, um ganz abgetötet zu werden. Da ein Grossteil der Bakterien schneller vom Antibiotikum erfasst wird, sprechen die Symptome schon vorher auf die Therapie an. Würde man dann mit der Antibiotikaeinnahme aufhören, könnten die überlebenden Bakterien sich mit der Zeit wieder vermehren und danach schlechter auf eine nächste Antibiotikatherapie ansprechen. Man spricht dann von der sogenannten Antibiotikaresistenz, die sehr gefürchtet ist. Die Fachleute für Infektionskrankheiten weltweit sind immer daran, zu untersuchen, welches die kürzest mögliche Zeit der Antibiotikaeinnahme bei der vorliegenden Erkrankung und dem gewählten Antibiotikum ist und passen ihre Empfehlungen entsprechend an. 


Haben Antibiotika Nebenwirkungen?

Ja, leider verursachen Antibiotika relativ häufig Nebenwirkungen im Magen-/Darmtrakt. Dort haben wir sehr viele gute Darmbakterien, die uns gesund erhalten, die jedoch leider auch von Antibiotika abgetötet werden können. Das bringt das normalerweise vorhandene Gleichgewicht guter und weniger guter Darmbakterien durcheinander und kann zu unangenehmem Durchfall führen. Bei Kindern, die zu Letzterem neigen und eine Antibiotikatherapie brauchen, lohnt es sich, schon während der Antibiotikagabe und noch danach gute Darmbakterien in ausreichender Menge in Medikamentenform zuzuführen, um die Wiederbesiedelung und Regenerierung des Darms zu fördern.

Die santé24-Gesundheitberaterin konnte Rita Keller die Änderungen in den Therapieempfehlungen seit sie selber Kinder hatte, gut erklären, so dass sie dem Kinderarzt wieder vertraute und ihrer kleinen Enkelin die verordneten Schmerz- und Entzündungsblocker wie verordnet verabreichte. Bei der Kontrolle zwei Tage später war das Ohr fast schon wieder geheilt. Als Samiras Eltern nach einer Woche zurückkommen, erzählt Frau Keller die Geschichte mit der Ohrenentzündung und erwähnt stolz, dass sie das «ganz ohne Antibiotika» geschafft haben.

Dr. med. Silke Schmitt Oggier ist die Chefärztin von santé24 und selber Fachärztin für Kinder und Jugendliche. Die telemedizinische Beratung ist eine zentrale Dienstleistung von santé24, die den SWICA-Versicherten bei allen Fragen rund um die Gesundheit unter der Nummer 044 404 86 86 kostenlos zur Verfügung steht. Eine Praxisbewilligung für Telemedizin ermöglicht es den Ärzten von santé24 zudem, bei telemedizinisch geeigneten Krankheitsbildern weiterführende ärztliche Leistungen zu erbringen. Mit der medizinischen App BENECURA können SWICA-Versicherte ausserdem bei Krankheitssymptomen einen digitalen SymptomCheck machen und erhalten Empfehlungen fürs weitere Vorgehen. Bei einem anschliessenden Telefonat mit santé24 entscheidet der Kunde im Einzelfall selber, ob er die im SymptomCheck gemachten Angaben santé24 freigeben möchte.

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