Im Kindergarten wird Lukas anscheinend zunehmend deswegen gehänselt und zieht sich zurück. Wir sollten das unbedingt vor dem Schuleintritt abklären und evtl. behandeln lassen, raten uns die Kindergartenlehrpersonen.» sprudelt es aus Andreas Engeli heraus. Man merkt, dass ihn die Aussagen der Kindergärtnerinnen sehr beschäftigen.
In welchem Alter entsteht Stottern?
Stottern beginnt in der Regel ohne erkennbare Ursachen im Kleinkindalter zwischen dem dritten und dem sechsten Lebensjahr. Die meisten Kinder durchlaufen zwischen zwei und fünf Jahren in ihrer Sprachentwicklung eine Phase, in der sie schneller denken als sie formulieren können oder anders gesagt, in der Denken und Sprechen nicht immer miteinander Schritt halten. Dann wiederholt ein Kind so lange bestimmte Worte, bis ihm der gesuchte Begriff wieder eingefallen ist (Beispiel: Der-der-der Hund hat mich gebissen). Das ist normal und legt sich meist von alleine. Problematisch ist Stottern, wenn es länger als sechs Monate bestehen bleibt Generell tritt bei fünf Prozent aller Kinder in dieser Altersspanne Stottern auf. Aber nur bei einem Prozent aller Kinder bleibt das Stottern dauerhaft bestehen. Darunter sind mehr Knaben und Männer als Mädchen und Frauen, was neben dem familiär gehäuften Auftreten für eine erbliche Veranlagung spricht.
Welche Arten von Stottern gibt es?
Beim Sprechen muss man neben der Wortfindung, Atmung, Stimmgebung und Artikulation in Sekundenbruchteilen koordinieren. Bei stotternden Menschen ist dieses Zusammenspiel gestört. Sie wissen zwar ganz genau, was sie sagen möchten, können das Wort aber in dem Moment nicht aussprechen. Stottern kann sich auf unterschiedliche Weise äussern: Als Wiederholung von Lauten, Silben oder Wörtern (z. B. w-w-w-warum, ka-ka-ka-keine), als lautloses Pressen von Anfangsbuchstaben (z. B. Ich bin der B-------ernd.) oder auch als Langziehen einzelner Laute (z. B. Laaaaass mich doch iiiiiiin Ruhe.)
Hat stottern eine psychische Ursache?
Häufigste Ursache des Stotterns ist eine Sprech- und Sprechplanungsstörung, der eine genetische Veranlagung (Erblichkeit: 69–85 %) zugrunde liegt. Stottern kann eine erhebliche seelische Belastung bedeuten. Viele Stotternde versuchen, ihr Problem zu vertuschen. Sie vermeiden bestimmte, für sie schwierige Anfangsbuchstaben oder tauschen heikle Begriffe schnell gegen andere Wörter aus, damit das Gegenüber das Stottern nicht bemerkt. Angst und die erhöhte Anstrengung beim Sprechen führen mit der Zeit zu Vermeidungsstrategien. Bei manchen geht es sogar so weit, dass sie nur noch sprechen, wenn es gar nicht anders möglich ist. Sie ziehen sich aus dem sozialen Leben zurück. Fest steht: Stottern ist keine psychische Störung, kann aber zu psychischen Auffälligkeiten führen. Es tritt unabhängig von der sozialen und kulturellen Herkunft, vom Bildungsgrad und vom Umgang miteinander innerhalb der Familie auf und hat auch nichts mit künftigem Schulerfolg zu tun.
Muss man möglichst früh mit der Therapie beginnen?
Wenn Stottersymptome erkennbar sind, bedeutet das noch nicht, dass sofort mit einer Therapie begonnen werden muss. Oft reicht zunächst eine gute Abklärung und Elternberatung bei einem auf Stottern spezialisierten Sprachtherapeuten. Merkt man dann jedoch, dass das Stottern sich verfestigt oder gibt es zusätzliche Risikofaktoren wie weitere Stotterer in der Familie, sollte eine Therapie begonnen werden, damit sich das Kind keine Vermeidungsstrategien aneignet oder sich nicht von seinen Freunden zurückzieht. Die Therapien bei Stottern übernehmen Logopäden und Sprachtherapeuten, mitunter auch Atem-, Stimm- und Sprechlehrer sowie Sprachheilpädagogen, je nach Stotterform, die vorliegt. Eine enge Zusammenarbeit mit den Eltern und den Betreuungs- und Lehrpersonen ist sehr wichtig.
Was kann man bei Stottern als Erwachsener tun?
Bei Erwachsenen verliert sich das Stottern nur noch in seltenen Fällen vollständig. Kontinuierliches Training kann aber den Sprechfluss deutlich verbessern und das Stottern unter Kontrolle halten. Interessant ist, dass viele Stotterer beim Singen keine Probleme mit dem Sprechfluss haben. Beim Sprechen macht man immer ganz kurze Pausen zwischen den Wörtern. Beim Singen hat man diese Pausen nicht, die Wörter fliessen ineinander und man hält die Stimme durchgängig in Schwingung. Diese durchgängige Schwingung der Stimmbänder trägt dazu bei, dass man nicht stottert. Gesangsunterricht oder Singen in einem Chor kann deshalb sehr unterstützend auch für das Selbstwertgefühl von stotternden Kindern oder auch Erwachsenen sein.
Andreas Engeli kann die Empfehlungen der Kindergärtnerinnen seines kleinen Sohnes jetzt besser einordnen und versteht, dass die Sprachauffälligkeiten, die Lukas zeigt von einer erfahrenen Logopädin abgeklärt werden sollten. Dass Lukas gehänselt wird oder sich von seinen Freunden zurückziehen könnte, ist für die Eltern eine Vorstellung, die sie natürlich möglichst verhindern möchten.
Dr. med. Silke Schmitt Oggier ist die Medizinische Leiterin von santé24 und selber Fachärztin für Kinder und Jugendliche. Die telemedizinische Beratung ist eine zentrale Dienstleistung von santé24, die den SWICA-Versicherten bei allen Fragen rund um die Gesundheit unter der Nummer 044 404 86 86 kostenlos zur Verfügung steht. Eine Praxisbewilligung für Telemedizin ermöglicht es den Ärzten von santé24 zudem, bei telemedizinisch geeigneten Krankheitsbildern weiterführende ärztliche Leistungen zu erbringen. Mit der medizinischen App BENECURA können SWICA-Versicherte ausserdem bei Krankheitssymptomen einen digitalen SymptomCheck machen und erhalten Empfehlungen fürs weitere Vorgehen. Bei einem anschliessenden Telefonat mit santé24 entscheidet der Kunde im Einzelfall selber, ob er die im SymptomCheck gemachten Angaben santé24 freigeben möchte.
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