Xihua Li in seinem Lenvix-Geschäft in Lausanne mit einem von ihm geschneiderten raffinierten Hemd.

Ein Riesentalent rappelt sich auf

Aufstieg, Fall und Comeback des Modeschöpfers Xihua Li. Die Geschichte vom tapferen Schneiderlein, das allen Widrigkeiten trotzt.


In Lausanne brodelt ein Vulkan: Er heisst Xihua Li und sprüht vor Kreativität. Der 31-jährige Künstler entwirft raffinierte Kleider – mit seinen Kollektionen feiert er Erfolge. Doch zurzeit arbeitet er als Verkäufer. Für eine neue Kollektion fehlen ihm Zeit und Geld. Das sollte sich ändern. Denn der Bursche ist enorm talentiert. Es wäre eine Katastrophe, wenn dieser Vulkan erlöschte.

Die Träume eines Kellners

Eigentlich war die Schweiz für Xihua Li nur eine Durchgangsstation auf seinem Weg nach Amerika. «In China hört man höchstens News aus den USA. Darum träumte ich von New York», erklärt er. Doch die Schweiz, in der er auf Wunsch seiner Familie «etwas Rechtes», nämlich Wirtschaft studierte und erst dann eine Modeschule absolvierte, gefiel ihm. Er blieb.

Jahrelang jobbte Xihua Li in einem Thai-Restaurant oder im Schiff auf dem Lac Léman. Aber dabei träumte er immer von der grossen Welt der Mode. Nachts setzte er sich in seinem Lausanner Kämmerchen an eine kleine Nähmaschine und verwandelte seine Ideen in Träume aus Stoff.

Xihua Li: Spitzenmode für Mann und Frau

Der Höhenflug

Um den Durchbruch zu schaffen, nahm der damals 28-Jährige am Wettbewerb Podium Femina teil, dem bedeutendsten Schweizer Nachwuchspreis für Modeschöpfer. Dort präsentierte er 2007 seine Damenkollektion «Le monde à l’envers», verkehrte Welt. Damit stellte er die Mode auf den Kopf: Das Frauenoberteil hatte er im Stil einer Männerjeans geschaffen, der Jupe dazu entpuppte sich als Herrenjacket, der Gürtel als Krawatte.

Mit seiner originellen Idee begeisterte er die Zuschauer; sie verliehen ihm den Publikumspreis. Er gewann 5000 Franken und durfte die neuen Uniformen der Fluggesellschaft Flybaboo kreieren. Geschafft!

Lenvix – Die Leidenschaft des Xihua Li

Xihua Li war glücklich. Fortan setzte er ganz auf die Karte Mode. Er gab seine Kellnerjobs auf, entwarf Kleider und schneiderte sie auch gleich. Und er schuf eine eigene Marke: Lenvix. Der Name setzt sich zusammen aus dem französischen Wort envie (Lust, Verlangen) und seinen Initialen L und X. Lenvix steht für junges Design bei bester Qualität. Und das Ganze erstaunlich günstig: Coole Shirts gibt’s schon ab 19.90.

Der Höhenflug ging weiter: Im fernen China wurden Journalisten auf ihn aufmerksam – aufgrund eines Artikels im Internet-Portal swissinfo.ch. Ein grosser Produzent engagierte ihn als Chefdesigner, er reiste ins Reich der Mitte und entwarf heisse, preiswerte Mode. Die Fabrikanten waren begeistert und wollten seine Marke Lenvix gross rausbringen – weltweit. Das war 2008.

Der Crash – und keine Hilfe in Sicht

Seine Partner in China wünschten einen riesigen Flagship Store in Lausanne. Sie eröffneten gar Filialen. «Diese Firma investierte in mich, doch sie hat nicht begriffen, was es heisst, eine Marke aufzubauen. Das dauert Jahre. Sie jedoch wollten sofort Geld verdienen», bedauert Xihua. Es kam, wie es kommen musste: Der Partner zog sich 2010 zurück und teilte dem schönen Asiaten mit, dass er seine eigene Mode in Zukunft nur gegen Vorauskasse und auf eigenes Risiko bestellen dürfe.

Doch Xihua hatte kein Geld. Er war in der Klemme. In seiner Not erstellte er einen Businessplan – kein Problem für ihn, schliesslich hat er Wirtschaft studiert – und ging Banken um einen Kredit an. Vergeblich. Keine hatte den Mut, dem jungen Couturier Hilfe zu gewähren. Sein Laden sei zu gross und zu teuer, befanden die Verantwortlichen. Zu Recht.

Verkäufer statt Designer

Jetzt steht Xihua da mit seinem 400 Quadratmeter grossen, noblen Laden auf drei Etagen an der Rue du Grand-St-Jean 4, Lausanne, monatlicher Mietzins 12'000 Franken. Von einem richtigen Lohn für sich und seinen Geschäftspartner Jean-Michel kann er nur träumen. Was er umsetzt, wird von den Fixkosten gefressen, Angestellte liegen nicht drin.

«Ich möchte eine kleine Boutique mieten», so Li, «der jetzige Shop ist zu pompös. Viele Passanten trauen sich nicht rein, weil sie glauben, hier werde überteuerte Mode verkauft.»

Die Pendenzenliste steht: Erst einmal muss ein Nachmieter gefunden werden. Danach ein kleiner, preiswerter Laden und eine Fabrik, die seine neue Kollektion in kleinen Stückzahlen produziert. Bis es soweit ist, verkauft er weiterhin seine Kollektion 2010 statt neue eigene Klamotten zu produzieren. Sinnliche, verführerische Mode, welche die Philosophie des Ostens mit der Coolness des Westens vereint.

Als wär’s ein Kinderspiel

Xihua Li gehen die Ideen nicht aus. Wenn er Zeit dafür findet, fertigt er Accessoires wie Diademe aus Vogelfedern oder schneidert Hemden mit verwegenem Kragen. Einfach so, nebenbei. Und als wär’s ein Spiel, zaubert er Entwürfe für Kleider, Verpackungen oder Gebrauchsgegenstände aufs Papier. «Ich fühle mich dabei wie ein Magier», sagt er. «Es macht mich stolz, etwas zu tun, was ich gut kann, und mit meiner Kreativität Menschen Freude zu bereiten.»

Jetzt muss die neue Kollektion her

Xihua Li arbeitet daran, in seinem Geschäft eine neue Kollektion anbieten zu können und sein Label Lenvix wieder in Fahrt zu bringen. «Ich glaube nicht an Glück, ich glaube an mich. Immer noch und jetzt erst recht, wo alles schief zu laufen scheint», beschwört er sich selbst.

Erste Anzeichen für eine Morgenröte gibt es schon. «Unsere Verkäufe sind im laufenden Jahr um 23 Prozent gestiegen», freut sich Xihua, «die Chinesen sind zu früh ausgestiegen».

Der talentierte Mister Li hofft, dass er im Mai eine neue Kollektion präsentieren kann. Seine Fans hoffen mit ihm. Sie fordern: Komm zurück, Meister Xihua, aber subito!

Und wenn er das Comeback geschafft hat, wird er seine Angehörigen in China besuchen, die die Schweiz noch nie gesehen haben. Er wird ihnen zeigen, was er erreicht hat. Und er wird hoffen, sie seien ein wenig stolz auf ihren verlorenen Sohn.

Beat A. Stephan

Xihua Li in Kürze

Steckbrief: Geboren 30. August 1979, 183 Zentimeter gross, 65 Kilogramm schwer, Haare blauschwarz, Augen braun. Ausbildung: Studium der Wirtschaft in Peking und Leysin, Absolvent der international anerkannten Modedesignschule Ecole Canvas in Lausanne. Lieblingsdesigner: Issey Miyake, Jean Paul Gautier. Heimat: Insel Hainan, Südchina. Wohnort: Lausanne, seit 11 Jahren. Auszeichnungen: Opel Road Show Lausanne, 2006, Publikumspreis am renommierten Designerwettbewerb Podium Femina 2007. Flagship Store: Rue du Grand-Saint-Jean 4, Lausanne. 

EINE JUGEND IN CHINA

Das rote Pferd aus dem Osten wird zum Westler

In China sei der Konkurrenzdruck so gewaltig, dass man nur mit einer ungesunden Arbeitsmoral überleben könne, betont Xihua Li: «Viele Chinesen rackern sieben Tage die Woche, weil hinter ihnen zahllose andere drängeln, welche die gleiche Arbeit leisten könnten. Aber so will ich nicht enden. Da bin ich wohl verwestlicht. Ich bin ja mit 183 Zentimetern auch gross für einen Asiaten, esse gerne Käse und geniesse mein Steak saignant. Alles Dinge, die nicht dem Asien-Klischee entsprechen.»

Heisst Xihua nicht ohnehin «derjenige, der in den Westen ging»? Nein, diese Bedeutung seines Namens hätten seine Eltern nicht im Kopf gehabt, sagt das Sonntagskind, sein Name sei poetischer. Er bedeute «Ein rotes Pferd, das am Morgen geboren wurde».

Als Bub schickte er schon Puppen auf den Catwalk

Familie Li lebt auf der südchinesischen Insel Hainan. Wer Xihuas Familiengeschichte hört, wundert sich nicht über seine Kreativität: Der Vater ist leidenschaftlicher Maler, er hat seinem Sohn schon mit drei Jahren das Zeichnen beigebracht – und der Knabe konnte nie mehr davon lassen. Er malte unaufhörlich, auch während der Mathelektionen. Sogar später, als er im fernen Peking an der Uni gelandet war, zeichnete er noch – vor allem Mangas.

Die Grosseltern väterlicher- und mütterlicherseits sind Couturiers. Sie schneidern im traditionellen chinesischen Stil. Der kleine Xihua wuchs also umgeben von Kunst und Mode auf. Mit Stoffresten kleidete er als Knirps Puppen ein. «Ich veranstaltete mit einem Freund zusammen kleine Modeschauen, an denen wir Puppen in selber geschneiderten Minikostümen über den Catwalk schickten. Ich geb’s ja zu, es gibt Spiele, die typischer sind für einen Buben», sagt Xihua. Und lächelt.

Beat A. Stephan

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