Jugendsprache online?!
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Jugendsprache – Das Real-Life im Web 2.0

Was die Schweizer Jugend so von sich gibt, bereitet nicht wenigen Eltern Kopfzerbrechen. War ihr Nachwuchs einst in der Lage komplexe und grammatikalisch einwandfreie Sätze zu bilden, so wirft er heute mit Ausdrücken um sich, die Eltern nicht verstehen, benutzt reihenweise Abkürzungen..


und zwar nicht nur im Chat mit Freunden, pfeift auf die korrekte Grammatik und hat Freude daran unzählige englische Begriffe einzudeutschen. Ist das Internet an dieser Entwicklung Schuld oder warum scheinen junge Menschen mit dem Eintritt in die Pubertät in Bezug auf ihre Ausdrucksweise scheinbar völlig zu verdummen? Oder sind möglicherweise doch die Eltern das Problem, die sich verbissen vor Neuem verschließen und den kreativen Schöpfungsgeist, welcher der Stilbastelei ihres Nachwuchses innewohnt, überhaupt nicht zu würdigen wissen?

Was definiert Jugendsprache eigentlich?

Grundsätzlich wird Jugendsprache als eine Sprechweise definiert, die verschiedene Gruppen von Jugendlichen zu unterschiedlichen Zeiten, in verschiedenen Altersstufen und unter verschiedenen Kommunikationsbedingungen verwenden.

Sprachwissenschaftler sind sich einig darüber, dass es nicht die eine Jugendsprache gibt. Regionale Sprechweisen können sich teils stark voneinander unterscheiden und sind zudem einem ständigen Wandel unterlegen. Doch nicht nur die Region, auch das Umfeld der Jugendlichen prägt ihre Sprache. So werden Schweizer Jugendliche, welche im Sportverein aktiv sind, andere Ausdrücke benutzen, als solche, die sich dem Gaming verschrieben haben. Stilbastelleien einer Clique können zudem von einer anderen als längst veraltet angesehen werden und umgekehrt. Kein Wunder, dass es Eltern, die kaum einen Einblick in die Jugendszene haben, da schwerfällt, ihren Nachwuchs überhaupt zu verstehen.

Ist Jugendsprache ein Phänomen der Neuzeit?

Keinesfalls. Wer die Ursprünge der Jugendsprache suchen will, muss weit in die Vergangenheit reisen. Schon Gelehrte im alten Griechenland beklagten, dass die Jugend mit wüsten Wörtern um sich schmeiße und den Alten nicht den gebührenden Respekt zolle. Belegt ist zudem, dass in studentischen Kreisen des 19. Jahrhunderts ein ganz eigener Jargon gesprochen wurde. Die eigenen Eltern werden sich noch an die 50er Jahre erinnern, als sie selbst als „Halbstarke“ bezeichnet wurden und wiederum ihre Eltern mit Ausdrücken wie „Affenschaukel“, „Knutschkugel“ oder „ranklotzen“ in die Verzweiflung trieben. Ein Blick in die eigene Jugend macht Eltern dann klar, dass „alles paletti“, „Clinch“ oder „finster drauf sein“ sicher auch keine Ausdrücke waren, welche sie von der vorherigen Generation gelernt hätten. Jugendsprache ist also ein Phänomen, welches es schon immer gab und wohl auch immer geben wird. Doch welchen Zweck erfüllt sie?

Warum nutzen Jugendliche überhaupt ihre eigene Sprache?

Sprache dient dazu, Werte, Normen und die eigene Weltanschauung auszudrücken. Die Alltagssprache in der Schweiz und auch in allen anderen Ländern ist jedoch von der Welt der Erwachsenen geprägt, einer Welt, von der sich Jugendliche mit aller Macht abzugrenzen versuchen. Das Bedürfnis, sich von den eigenen Eltern abzugrenzen, ist ganz natürlich und gehört zum gesunden Entwicklungsprozess von Jugendlichen dazu. Ohne Abgrenzung kann keine Identitätsfindung stattfinden und auch, wenn viele Eltern Probleme damit haben, die plötzliche Distanz zu ihrem Nachwuchs zu akzeptieren, müssen sie verstehen, dass dies ein wichtiger Schritt ist. Jugendliche wollen etwas Neues und Eigenes schaffen und suchen ihren Halt während der Pubertät eher bei Gleichaltrigen als bei ihren Eltern. Natürlich brauchen sie diese auch noch, nur wollen sie dies nicht zeigen. Eltern sollten das respektieren, ihrem Nachwuchs jedoch auch klare Grenzen aufzeigen und gleichzeitig signalisieren, dass sie immer ein offenes Ohr für ihn haben. Wichtig ist, dass Eltern, sollten sie bestimmte Ausdrucksweisen ihres Nachwuchses als beleidigend, rassistisch oder verletzend empfinden, dies auch klar kommunizieren und ihm verbieten, so mit ihnen oder auch anderen zu sprechen.

Für Jugendliche untereinander ist die Jugendsprache zudem ein Zeichen des Zusammenhalts, genau wie bei Kindern, welche eine eigene Gemeinsprache entwickeln, um sich so vom Rest der Welt abzugrenzen.


Jugendsprache dient unter anderem der Abgrenzung von der Elterngeneration

Keinesfalls sollten Eltern auf die Idee kommen, sich der Sprache ihres Kindes anzupassen. Zum einen wirkt es aufgesetzt und lächerlich, zum anderen empfinden Jugendliche dies als ungefragtes Eindringen in ihre Intimsphäre. Sie wollen sie ja gerade von der Welt der Eltern abgrenzen und wenn die eigene Mutter plötzlich mit Ausdrücken wie „Chills“ oder „Wo läbsch du?“ um sich wirft, sind sie ganz schnell uncool.

Die kreative Stilbastelei Schweizer Jugendlicher

Wie einem Beitrag der Universität Zürich zu entnehmen ist, kann Jugendsprache durchaus als kreative Stilbastelei bezeichnet werden. Die Jugend nimmt Zitate, oft aus den Medien, aber auch Werbesprüche in die eigene Rede mit auf oder verfremdet diese spielerisch. Dies wird auch als Bricolage bezeichnet. Ein Beispiel ist die Verfremdung formelhafter Wendungen, wie „Lassen sie mich Arzt, ich bin durch“. Ebenfalls verbreitet ist es, dass Jugendliche ohne Migrationshintergrund in grammatisch fehlerhaftem Deutsch sprechen, zum Beispiel indem sie Ausdrücke wie „Gömmer Migros“ oder „Hesch mer Zigarett?“ verwenden, so rhetorik.ch. Hier in der Schweiz wird solch eine Ausdrucksweise als „Jugodeutsch“ oder „Balkandeutsch“ bezeichnet, in Deutschland hingegen nennt man sie „Türkendeutsch“ oder „Kiezdeutsch“. Zudem gibt es in Deutschland bereits einige linguistische Untersuchungen, welche sich mit dieser Thematik befassen. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass das ethnolektale Sprechen von den Jugendlichen als bewusstes Spiel mit der Sprache eingesetzt wird und sie die Grammatikfehler in vielen Fällen absichtlich einbauen. Hauptverantwortlich für diese Ausdrucksweise seien die Medien, so die Erkenntnisse weiter. Als Beispiel wird der türkisch-stämmige Kabarettist Kaya Yanar angeführt, welcher zwar perfekt die deutsche Sprache beherrscht, bei seinen Auftritten jedoch fehlerhaftes Deutsch inszeniert. Auch der berühmte Satz „S beschte wos je hets gibt’s“ spricht für die These, dass die Medien und vor allem das Internet sehr großen Einfluss auf die Jugendsprache nehmen. Dieser Satz wurde in der Schweiz im Jahr 2009 sogar als Jugendwort des Jahres gewählt. Er schließt an die charakteristische Sprechweise der Jugend an und wurde rasend schnell über das Internet verbreitet.

Doch die kreative Stilbastelei der Jugend beschränkt sich keinesfalls nur auf die Verfremdung von Ausdrucksweisen aus den Medien. Ein weiteres Merkmal ist die Nutzung von intensivierenden Ausdrücken, wie mega, krass, super oder fett. Sie sind einem noch schnelleren Wandel unterlegen, da Erwachsene dazu neigen, diese Wörter in ihren eigenen Sprachgebrauch zu integrieren, wie es bei geil und cool der Fall war. Somit sind diese speziellen intensivierenden Ausdrücke wieder out bei der Schweizer Jugend. Ein weiteres typisches Merkmal ist die Verwendung von englischen Begriffen, zum Beispiel aus der Hip-Hop-Szene. Um diese szenesprachlichen Wörter zu verstehen, ist oft ein spezifisches kulturelles Hintergrundwissen nötig, welches die meisten Erwachsenen, aufgrund anders gearteter Interessen, einfach nicht mitbringen.

Das Internet als endlose Spielwiese der Jugend


Das Internet bietet der Jugend zahlreiche Möglichkeiten

Jahrzehntelang konnte sich die Jugend nur auf dem Schulhof, im Kinderzimmer oder am Telefon sprachlich ausleben, doch mit der Jahrtausendwende kam eine neue und viel größere Spielweise hinzu – das Internet. Vor allem die sozialen Netzwerke sowie mobile Kurznachrichtensysteme, wie WhatsApp, werden von der Jugend zum Austausch genutzt. Über ihre Smartphones sind die Jugendlichen immer und überall mit ihren Freunden verbunden, zum Leitwesen einiger Eltern, die sich wünschten, ihr Kind würde nicht den ganzen Tag kryptische Zeichen in das kleine Gerät tippen, sondern ein vernünftiges Gespräch von Angesicht zu Angesicht bevorzugen.

Ebenfalls beunruhigend finden Eltern die Welt aus Abkürzungen, Satzzeichen und Emoticons, die sich ihren Kindern bietet und die sie entsprechend nutzen. Warum auch einen langen und komplizierten Satz schreiben, wenn ein einzelnes Emoticon das Gleiche aussagen kann?

Jährlich verschickt die Jugend Millionen SMS oder Nachrichten über WhatsApp, Twitter, Facebook, MSN der Skype. Wie einem Beitrag des Raab-Verlages zu entnehmen ist, hat sich die Anzahl der in der Schweiz abgesendeten SMS seit Anfang der 2000er mehr als versechsfacht. Da die Zeichen bei solchen Kurznachrichten oft begrenzt sind, war es ganz natürlich, dass sich eine Sprachkultur der Abkürzungen daraus entwickelte. Jugendliche mischen diese noch mit Emoticons und englischen Begriffen, pfeifen auf Rechtschreibung, Grammatik und Kommasetzung und bringen ihre Eltern so zur Verzweiflung. Die Angst vieler Erziehungsberechtigter ist dabei, dass ihre Kinder, wenn sie in ihrer Freizeit stets so nachlässig mit der deutschen Sprache umgehen, nicht wieder auf das geforderte Niveau in der Schule umschalten können und auf Dauer ihre Noten darunter leiden würden.

Abkürzungskultur im World Wide Web – eine Übersetzungshilfe für Eltern

Wie bereits erwähnt, ist die Jugendsprache einem ständigen Wandel unterlegen, weshalb die nachstehende Übersetzungshilfe nur eine Momentaufnahme darstellt. Dennoch kann sie Eltern helfen, ihren Nachwuchs teilweise besser zu verstehen. Von Nachahmung wird, wie bereits erwähnt, dringend abgeraten.

Kreative Sprechkultur oder Sprachverluderung – haben Eltern Grund zur Sorge?

Abschließend soll nun die Frage beantwortet werden, die meisten Eltern umtreibt, wenn sie einen genaueren Blick auf die Abkürzungen, Verfremdungen und eigenwilligen Eindeutschungen ihrer Kinder werfen – Verdummt die Jugend, aufgrund von Jugendsprache und führt dies dazu, dass sich der Nachwuchs auf Dauer nicht mehr vernünftig ausdrücken kann, wenn es darauf ankommen?

Der bereits erwähnte Beitrag der Universität Zürich weist darauf hin, dass innerhalb eines Forschungsprojektes, bei welchem über 1000 Texte von 14- bis 19-jährigen Schülern aller Schulformen ausgewertet wurden, die Erkenntnis gewonnen werden konnte, dass das private Schreiben und die Jugendsprache wohl keinerlei Einfluss auf das schulische Schreiben hat. Jugendliche wissen also sehr wohl, in welchem Kontext sie gerade etwas schreiben und können dementsprechend die richtige Schriftsprache wählen. Im Kontext der gesprochenen Sprache sind die Übergänge viel fließender. Hier ist es die Aufgabe von Lehrern und Eltern, den Jugendlichen aufzuzeigen, wer der Adressat ihrer Aussage ist und in welchen Kommunikationssituationen welcher Sprachgebrauch angewendet werden sollte. Beherrschen die Jugendlichen einen angemessenen Sprachgebrauch, brauchen sich die Eltern auch keineswegs zu Sorgen, wenn sie im Internet mit Abkürzungen und Emoticons um sich werfen und im Freundeskreis jede Woche eine neue kryptische Redewendung die Runde macht. Solange der Nachwuchs in keiner Weise ausfallend wird, die Eltern oder andere Personen beleidigt oder rassistische Äußerungen in sein Standard-Vokabular aufnimmt, sollten Eltern die Jugendsprache ganz entspannt betrachten und sich an den vielen kreativen Ideen und Neologismen der Jugend freuen, Sprache ist schließlich kein statisches Gebilde.

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