Dr. Silke Schmitt Oggier - Med. Leiterin von sante24

5 Fragen an Dr. Silke Schmitt Oggier - Muss man eine enge Vorhaut bei meinem Sohn operieren oder gibt es auch andere Möglichkeiten?

Pascal Engler spricht eher leise am santé24-Telefon, da ihm das Thema etwas peinlich scheint: «Mein kleiner Sohn ist zweieinhalb und meine Frau meint, man müsse ihm die Vorhaut beschneiden lassen, weil seine so eng ist, dass man dort nicht gut zum Säubern hinkommt. Ausserdem bildet sich vorne eine Art kleiner Ballon am Penis, wenn er pinkelt. Ich glaube, bei mir war das auch relativ lange so und ich bin eher dagegen, am Penis herumzuschneiden, weiss aber auch nicht, ob das normal ist oder was wir sonst machen können?» Die santé24-Gesundheitsberaterin leitet den besorgten Vater an die santé24-Kinderärztin weiter, die Pascal Engler ausführlich berät.


Wann ist eine Vorhaut zu eng?

Bis zum Abschluss der Pubertät sollte sich die Vorhaut unter dem Einfluss der Hormone ganz von der Eichel gelöst haben und sich so weiten, dass eine ungehinderte und schmerzfreie Erektion erfolgen kann. Im Säuglings- und Kleinkindalter ist eine enge Vorhaut, die nicht über die Eichel zurückgeschoben werden kann, bzw. entwicklungsbedingt noch mit ihr verklebt ist, ganz normal. Wann diese Lösung und Weitung erfolgt, ist sehr unterschiedlich. Mit zehn Jahren hat noch etwa ein Drittel der Jungs entwicklungsbedingt eine mindestens partielle Enge oder Verklebung von Vorhaut und Eichel. Selbst im Alter von 13 Jahren muss man bei acht Prozent noch mit einer entwicklungsbedingten Vorhautenge rechnen. Im Rahmen der Ablösung der Vorhaut von der Eichel entstehen häufig weissgelblich durch die Haut schimmernde Talg-Smegma-Ansammlungen, was ein vorübergehendes und medizinisch harmloses Entwicklungsphänomen darstellt. Sie bestehen aus Talgdrüsensekret und Abbauprodukten der Schleimhautzellen (Smegma) und enthalten unter anderem Fettsäuren und andere schützende Stoffe. Dies sind natürliche Absonderungen, die nicht aufgrund mangelnder Hygiene entstehen.

Wann muss man etwas unternehmen?

Eine Vorhautenge oder Verengung ist in jedem Alter nur dann relevant, wenn sie Schmerzen oder Folgeprobleme mit sich bringt oder erwarten lässt; beispielsweise häufigere lokale Entzündungen der Vorhaut, dermatologische Besonderheiten mit der Tendenz zu Vernarbungen, häufige Harnwegsinfekte, Schmerzen oder schmerzendes Ballonieren beim Wasserlösen, schmerzhafte (prä-)pubertäre Erektionen oder auch ein deutlicher Leidensdruck des Betroffenen. Alle Untersuchungen dazu sollten altersgerecht in einer adäquaten Umgebung durch erfahrene Untersuchende durchgeführt werden, damit sich der kleine oder grössere Patient wohl fühlt und versteht, um was es geht. Ziel einer Behandlung soll die Beschwerdefreiheit vor Abschluss der Pubertät und die freie Zurückstreifbarkeit der Vorhaut nach Abschluss der Pubertät sein. 

Muss man eine zu enge Vorhaut (Phimose) immer operieren?

Bis auf wenige Ausnahmen (beispielsweise zunehmend narbige Veränderungen) wir nur operativen Methoden geraten, egal ob Vorhaut-erhaltend oder nicht, wenn eine konservative Behandlung nicht zum Erfolg führt. Die Beschneidung (Zirkumzision) ist ein sehr schmerzhafter Eingriff, der auch trotz schmerzlindernder Massnahmen während und nach der Operation unterschiedlich lange Schmerz- und Stressreaktionen des Kindes hervorrufen kann und über deren Auswirkungen auf die Schmerzwahrnehmung in dem Bereich und auf die Sexualität man nicht genügend weiss.

Was gibt es ausser der Operation für Therapiemöglichkeiten?

Heutzutage ist die erste Wahl in der Therapie einer medizinisch relevanten Vorhautverengung eine lokale Salbentherapie mit rezeptpflichtiger kortisonhaltiger Salbe. Die Entscheidung für diese Therapie unterliegt allerdings denselben strengen Kriterien wie die Entscheidung für eine Operation. Die Behandlung muss konsequent ein bis zwei Mal pro Tag über vier Wochen durchgeführt werden und kann auf maximal drei Monate oder zwei Zyklen ausgedehnt werden mit einer Kontrolle mindestens alle vier Wochen. Bei erreichter Beschwerdefreiheit bzw. freier Zurückziehbarkeit der Vorhaut soll die Therapie beendet werden. Über schwerwiegende Nebenwirkungen dieser Behandlung bisher nicht berichtet. Die Erfolgsrate betrug in Beobachtungsstudien bis zu 90 Prozent. Da Behandlungen durch Sorgeberechtigte vom Knaben/Jugendlichen je nach Alter als übergriffig erlebt werden können, soll die die tägliche Applikation der Salbe, sofern möglich, am besten durch den Patienten selbst erfolgen.

Kann eine zu enge Vorhaut auch Notfallsituationen führen?

Wenn eine leicht verengte Vorhaut hinter die Eichel zurückgezogen wird, jedoch nicht zurück in ihre Ausgangslage gebracht wird oder werden kann, kann eine Abschnürung von Blutgefässen, eine zunehmende Schwellung und in der Folge eine Minderdurchblutung der dahinterliegenden Penisanteile resultieren. Wenn dies längere Zeit anhält, kann dies sogar zu einem Absterben der Eichel führen. Deshalb ist diese Situation immer als Notfallsituation einzuschätzen und ein spezialisiertes kinderchirurgisches Zentrum aufzusuchen. Dieses Phänomen kann natürlich auch im Rahmen einer erfolgreichen Salbentherapie vorkommen. Daher müssen die Eltern und die Knaben beziehungsweise Jugendlichen darüber informiert werden und wissen, was in diesem Fall zu tun wäre. Von Fachleuten kann das Zurückschieben der Vorhaut in die Ausgangslage in der Regel unter Anwendung eines Lokalanästhetikums ohne Narkose und ohne negative Folgen erfolgen.

 

Pascal Engler ist nach der Beratung beruhigt und wird das Thema jetzt mit seiner Frau aufnehmen und fundierter besprechen. Die von der santé24-Kinderärztin empfohlenen Links und Informationsunterlagen helfen ihm dabei.   

Dr. med. Silke Schmitt Oggier ist die Chefärztin von santé24 und selber Fachärztin für Kinder und Jugendliche. Die telemedizinische Beratung ist eine zentrale Dienstleistung von santé24, die den SWICA-Versicherten bei allen Fragen rund um die Gesundheit unter der Nummer 044 404 86 86 kostenlos zur Verfügung steht. Eine Praxisbewilligung für Telemedizin ermöglicht es den Ärzten von santé24 zudem, bei telemedizinisch geeigneten Krankheitsbildern weiterführende ärztliche Leistungen zu erbringen. Mit der medizinischen App BENECURA können SWICA-Versicherte ausserdem bei Krankheitssymptomen einen digitalen SymptomCheck machen und erhalten Empfehlungen fürs weitere Vorgehen. Bei einem anschliessenden Telefonat mit santé24 entscheidet der Kunde im Einzelfall selber, ob er die im SymptomCheck gemachten Angaben santé24 freigeben möchte.

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