Dr. Silke Schmitt Oggier - Med. Leiterin von sante24

5 Fragen an Dr. Silke Schmitt Oggier - Meine ganze Familie soll vegan werden, muss ich da etwas beachten?

«Ich ernähre mich schon länger vegetarisch, aber jetzt möchte ich ganz umstellen auf vegane Ernährung und meine Familie gleich mit», erklärt Frau Reuss der Gesundheitsberaterin am santé24-Telefon. «Wissen Sie, meine Kinder sollen von Anfang an mit der richtigen Ernährung aufwachsen». Die Gesundheitsberaterin ist etwas überrascht über diese Aussage, fragt aber erst einmal nach, wie alt die Kinder denn seien. «Die Grösseren sind 4 und 2 und der Kleine ist gerade 8 Wochen alt und wird gestillt, um den muss ich mir ja jetzt keine Sorgen machen. Muss ich bei den anderen beiden etwas beachten?»


Was ist eigentlich vegane Ernährung?

Vegane Ernährung verzichtet noch viel strikter als vegetarische Ernährung nicht nur auf tierische Lebensmittel, sondern auch auf alle tierischen Produkte wie Eier, Milch, Honig usw. Obwohl sie gesundheitliche Vorteile in der Prävention von Erkrankungen wie Alters-diabetes, Übergewicht, Herz-/Kreislauferkrankungen und einzelnen Krebsformen zeigt, muss man sich bei konsequent rein pflanzenbasierter Ernährung vor Nährstoffmängeln schützen. Für Kinder gilt das noch mehr als in der Erwachsenenzeit. 

 

Welche Stoffe in der Ernährung sind für Kinder besonders wichtig?

Generell wird bei Kindern neben Gewicht und Wachstum durch die Ernährung auch der Grundstein für die psychomotorische Entwicklung, ein starkes Skelettsystem und die Ausbildung und Kräftigung des Immunsystems gelegt. Durch die Veränderung des Darm-Mikrobioms werden möglicherweise auch allergische Dispositionen, sowie die emotionale Entwicklung und die Hirnreifung oder Ausbildung der Intelligenz beeinflusst. Potentiell kritisch ist eine vegane Ernährung in Bezug auf die Gesamtenergie, die Proteinqualität und die Menge an langkettigen Fettsäuren, Eisen, Zink, Calzium und ganz besonders Vitamin B12.

 

Welche Organe oder Organsysteme sind durch eine vegane Ernährung in der Entwicklung besonders gefährdet?

Essentielle mehrfach ungesättigte Fettsäuren, die vor allem in tierischen Produkten vorkommen, sind beispielsweise für die Entwicklung des Nervensystems und des Gehirns sowie der Augen zentral. Für die Blutbildung, die Einhüllung der Nervenscheiden und die Bildung von Neurotransmittern wird Eisen gebraucht. Die Verfügbarkeit und Aufnahmefähigkeit von Eisen pflanzlichen Ursprungs liegt jedoch deutlich tiefer als die von Eisen aus Fleisch. Ein Zinkmangel, der aufgrund einer Hemmung der Zinkaufnahme durch Inhaltsstoffe von Hülsenfrüchten entstehen kann, kann sich durch Wundheilungsstörungen, brüchige Nägel, Haarausfall, Infektanfälligkeit, chronischen Durchfall oder eine Gedeihstörung bemerkbar machen. Das Fehlen von tierischer Milch und Milchprodukten macht die Versorgung mit Calzium, das für starke Knochen unabdingbar ist, deutlich schwieriger. Am wichtigsten ist jedoch Vitamin B12, das nicht in biologisch aktiver Form aus nicht-tierischen Quellen zugeführt werden kann.  Vitamin B12 ist jedoch lebensnotwendig für die neuro-psychologische Entwicklung von Säuglingen und Kindern. Sein Fehlen in dieser Zeit kann zu irreversiblen Schäden der geistigen und neurologischen Entwicklung führen.

 

Kann man Kinder trotzdem gesund vegan ernähren?

Je nach Alter des Kindes muss man sehr gut auf die Zusammensetzung der Ernährung beziehungsweise auf den Ersatz bestimmter Stoffe durch eine gezielte Produktauswahl und durch Nahrungsergänzungsmittel achten. Selbstverständlich muss das Kind besonders sorgfältig von der Kinderärztin auf Mangelerscheinungen, sowie körperliche und geistige Entwicklungsfortschritte beobachtet werden. Manchmal sind auch Laborkontrollen angezeigt, um einen Mangel rechtzeitig zu erkennen, zum Beispiel bei Vitamin B12. Aufgrund der Komplexität der Zusammenhänge empfiehlt sich auch die Begleitung durch eine Ernährungsberaterin. Der Berufsverband der deutschen Kinder- und Jugendärzte und die eidgenössische Ernährungskommission rät allerdings bei Säuglingen und Kleinkindern bis drei Jahren von einer veganen Ernährung ab. Bei Jugendlichen, die plötzlich eine vegane Ernährung bevorzugen, lohnt es sich, allfällige Essstörungen oder eine Gewichtsabnahme im Auge zu behalten.

 

Hat die vegane oder vegetarische Ernährung einer stillenden Mutter Auswirkungen auf das Baby?

Vor allem bei schon länger dauernder vegetarischer oder veganer Ernährung der Mutter entleeren sich deren Vitamin B12-Speicher. Beim erwachsenen Organismus zeigt sich das nicht so schnell, beim Säugling spielt Vitamin B12 aber eine entscheidende Rolle bei der Reifung des zentralen Nervensystems. Bekommt das Baby über die Muttermilch nicht genügend Vitamin B12, ist die neuro-psychologische Entwicklung nachhaltig gefährdet. Auch der Gehalt an Jod in der Muttermilch ist vom Ernährungsstatus der Mutter abhängig. Kochsalz mit Jod gilt als wichtigster Faktor gegen eine Unterfunktion der Schilddrüse und sollte von der Mutter bewusst eingenommen werden. 

Die santé24-Ernährungsberaterin, an die Frau Reuss weitergeleitet wurde, erklärt der Anruferin alle Zusammenhänge und rät ihr, mit der Umstellung ihrer Familie noch ein paar Jahre zu warten oder sich gut von ihrer Kinderärztin und einer Ernährungsberaterin begleiten zu lassen. Auf jeden Fall empfiehlt sie Frau Reuss, so schnell wie möglich ihren eigenen Vitamin B12-Spiegel im Blut messen zu lassen, um zu entscheiden, ob sie bereits einen Vitamin B12-Mangel hat, der auch im Hinblick auf das Stillen schnellstens ausgeglichen werden sollte. 

 

Dr. med. Silke Schmitt Oggier ist die Chefärztin von santé24 und selber Fachärztin für Kinder und Jugendliche. Die telemedizinische Beratung ist eine zentrale Dienstleistung von santé24, die den SWICA-Versicherten bei allen Fragen rund um die Gesundheit unter der Nummer 044 404 86 86 kostenlos zur Verfügung steht. Eine Praxisbewilligung für Telemedizin ermöglicht es den Ärzten von santé24 zudem, bei telemedizinisch geeigneten Krankheitsbildern weiterführende ärztliche Leistungen zu erbringen. Mit der medizinischen App BENECURA können SWICA-Versicherte ausserdem bei Krankheitssymptomen einen digitalen SymptomCheck machen und erhalten Empfehlungen fürs weitere Vorgehen. Bei einem anschliessenden Telefonat mit santé24 entscheidet der Kunde im Einzelfall selber, ob er die im SymptomCheck gemachten Angaben santé24 freigeben möchte.

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