dr. Silke Oggier - med. Leiterin santé24

5 Fragen an Dr. Silke Schmitt Oggier: Qualen durch Qualle

«Was können wir machen? Unser Sohn Levin (11) wurde beim Schnorcheln von einer Qualle «gebissen» und hat jetzt ganz rote Striemen auf dem Bauch.»


Frau Becker meldet sich aus den Ferien auf Sardinien bei der Onlinepraxis santé24. Ihr Sohn sei beim Schnorcheln vor ein paar Stunden von einer Qualle «gebissen» worden und habe jetzt sehr schmerzhafte, rote Striemen am Bauch. Am Strand waren Einheimische, die ihrem Sohn sofort geholfen haben. Man konnte sich aber nicht gut verständigen, Familie Becker hat nur etwas von «medico» und «dottore» verstanden. Zurück im Appartement klagt Levin über Schmerzen, ansonsten sei er etwas schockiert, aber wohlauf. «Müssen wir jetzt noch zu einem Arzt hier vor Ort? Morgen reisen wir schon zurück in die Schweiz», ist die Hauptfrage von Frau Becker.

Beissen Quallen tatsächlich oder wie ist der Verletzungsmechanismus?

Quallen beissen nicht, obwohl man im Volksmund manchmal von einem Quallenbiss spricht. Sie besitzen meist in ihren oft sehr langen Tentakeln Nesselkapseln, die für den Menschen mehr oder weniger giftige Proteine enthalten. Diese brauchen sie normalerweise zur Verteidigung oder zum Beutefang. Kommt man mit den Tentakeln in Berührung, werden die Nesselkapseln mit zum Teil hohem Druck gegen oder sogar tief in die Haut geschleudert, wo sie sich entladen bzw. platzen und je nach Quallen-Art verschieden giftige Proteine freisetzen. Die giftigsten Quallen kommen im tropischen Atlantik, im westlichen Pazifik, in der Karibik und rund um die australischen Küsten vor. Allerding gibt es auch im Mittelmeer Spezies, die für den Menschen tödlich sein können.

Welche Symptome sind typisch nach Quallenkontakt?

Schon beim Kontakt im Wasser spürt man meistens einen stechenden Schmerz, ähnlich einem Peitschenhieb. Danach können reine, oft striemenförmige Hautveränderungen, die einer Verbrennung ähneln, auftreten, aber auch schwerwiegendere Hautveränderungen wie grosse Blasen, Quaddeln oder tiefe Hautdefekte entstehen. Zusätzlich können manche der Gifte zu Kreislaufreaktionen mit Übelkeit, Erbrechen, Bewusstlosigkeit und Herzproblemen bis zum allergischen Schock oder Kreislaufkollaps führen.

Was kann man direkt nach einem Quallenkontakt noch am Strand machen?

Das Wichtigste ist, die verletzte Person schnellstmöglich aus dem Wasser zu retten. Am Strand gilt es dann, die betroffenen Stellen reichlich mit Salzwasser oder Essig abzuspülen, um verbliebene sichtbare Tentakel und nicht mit blossem Auge sichtbare Nesselzellen zu entfernen. Helfer sollten sich dabei z. B. eines Handtuchs als Schutz bedienen, wobei mechanische Irritation der betroffenen oder noch gesunden Haut unbedingt vermieden werden sollte (nicht abreiben). Süsswasser ist nicht geeignet, da es zu einer weiteren Entladung noch intakter Nesselzellen auf der Haut führen kann. Auch Alkohol geht nicht. Nur gut 20 Prozent der Nesselkapseln platzen sofort auf der Haut, die restlichen 80 Prozent sollten deshalb schnellstmöglich, aber schonend, entfernt werden. Schmerzmittel und Antihistaminika (antiallergische Mittel) können bereits verabreicht werden, wenn vorhanden. 

Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es bei einem Quallenkontakt?

Sobald Allgemeinsymptome wie Übelkeit, Erbrechen, Unwohlsein. Herzprobleme, Luftnot oder sich rasch ausbreitende Quaddeln oder Blasen auftreten, muss die betroffene Person schnell mit einer Ambulanz ins Spital gebracht werden. Auch wenn die «Verbrennungen» sich im Gesicht oder an den Genitalien befinden oder mehr als zehn Prozent der Hautoberfläche betroffen ist, sollte die Situation ärztlich beurteilt werden. Nicht selten braucht es dann Medikamente über die Venen und eine Kreislaufüberwachung. Wenn die Hautveränderungen «nur» an wenigen kleineren Stellen sind, dann kann man sich auf die Behandlung der Haut konzentrieren. Für die Schmerzen wird neuerdings ein Spray mit einem Lokalanästhetikum (Lidocain) empfohlen und/oder übliche Schmerztabletten. Gegen allergische Symptome, Juckreiz und Schwellungen helfen Antihistaminika wie bei Heuschnupfen in Tablettenform. 

Damit die Haut gut abheilt und sich keine Bakterien einnisten, ist eine kortisonhaltige Salbe mit einem Antibiotikum-Zusatz geeignet. Bei uns sind einige dieser Medikamente rezeptpflichtig, in anderen Ländern bekommt man sie ohne Rezept in der Apotheke. Oft kennen sich die Gesundheitsfachleute vor Ort recht gut mit den Verletzungsmustern aus, weil sie diese öfter sehen, so dass die Apothekerinnen wissen, was sie verabreichen können. Sehr wichtig ist auch der Sonnenschutz, da die geschädigte Haut sehr empfindlich ist und vor allem unter Sonneneinstrahlung zu Überpigmentierungen neigt. 

Wie kann man sich vor einer Quallenverletzung schützen?

Um Begegnungen mit Quallen zu vermeiden, ist es empfehlenswert, sich den Strand vor dem ersten Baden bei Ebbe anzusehen. Hat es dort eine Vielzahl angeschwemmter Quallenkörper, kann man davon ausgehen, dass auch im Meer viele anzutreffen sind. Da Quallen sich gern in aller Ruhe im Wasser treiben lassen, weil sich die wenigsten aktiv gut fortbewegen können, meiden sie Gebiete mit tosender Brandung oder starker Strömung und bevorzugen ruhigere Gewässer. Nach Stürmen gibt es wegen der veränderten Strömungen allerdings oft auch Quallen an Orten, die sonst nicht typisch sind. Wo es Quallen gibt, sollte man auch eher kein abendliches Bad nehmen, da sie sich sehr gerne in der Dämmerung und im Dunkeln treiben lassen. Sehr wichtig ist es auch, örtliche Warnhinweise zu beachten. In Australien, wo einige der sehr gefährlichen Quallenarten vorkommen, schützen sich Wassersportler mit nesselsicheren Tauch-, Surf- oder Quallenschutzanzügen. 

Bei Familie Becker geht es am nächsten Tag schon wieder zurück in die Schweiz. Die ersten Medikamente bekommen sie in der lokalen Apotheke, die Symptome bleiben begrenzt, so dass keine ärztliche Beurteilung vor Ort notwendig wird. Rezepte für die weitere Behandlung zuhause bekommen die Beckers von der santé24-Ärztin als eRezept aufs Natel geschickt. Für ein nächstes Mal rät die santé24-Ärztin Levin und seinen Eltern, ein relativ neues Anti-Quallen-Mittel (PharmaWiki - Quallenschutzmittel )auszuprobieren, das von Meeresbiologen erfunden wurde: Es enthält eine schleimige Substanz, die Clownfische vor dem Biss der Seeanemonen schützt, in denen sie leben und die vergleichbare Nesselzellen wie Quallen besitzen. Es scheint in klinischen Studien auch Menschen zumindest vor den «Bissen» der gängigsten Quallen und Seeigel zu schützen.

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